Was hat der Hauptmann von Köpenick mit Franz von Assisi zu tun? Was ist Cortesia? Das aktuelle „Tau Leben“ ist gespickt mit interessanten Artikeln, die immer den Bogen in unser (franziskanisches) Leben schlagen. Außerdem verabschiedet sich Elisabeth Fastenmeier nach 23 Jahren als Sekretärin des OFS Bayern und „die Neue“ Manuela Roscher stellt sich vor. Ebenso die Mitglieder des neu gewählten Regional-Vorstandes. Über das Franziskanische Krankenapostolat und zwei Diozösantage wird berichtet. Zum Schluss werden die Termine für das jahr 2023 bekannt gegeben.
„So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander.“ Kol 3,12-17
„Und dann stehst du vor Gott dem Vater, und der fragt dich ins Gesicht: Wilhelm Vogt, was hast du mit deinem Leben gemacht? Und dann muss ich sagen – Fußmatte. Die habe ich im Gefängnis geflochten, und dann sind sie alle darauf herumgetrampelt, muss ich sagen.“ Aber der Schuster Wilhelm Vogt will sich mit einem solchen Leben nicht abfinden. „Das will ich nicht“, sagt er, „so knickerich möchte ich nicht vor meinem Schöpfer stehen. „Ich werde noch was machen“.
Liebe OFS-Geschwister,
wer kennt nicht den Schauspieler Heinz Rühmann in einer seiner Paraderollen des vorbestraften Schusters Wilhelm Voigt in Carl Zuckmayers Theaterstück: „Der Hauptmann von Köpenick“. Mit 56 Jahren hatte Wilhelm Voigt dreißig Jahre seines Lebens im Zuchthaus verbracht und hat so seine Lebensbilanz gezogen. Das Sprichwort hatte sich zunächst bestätigt: „Kleider machen Leute.“ Die Uniform gab ihm Selbstvertrauen, gab ihm Halt, sie stärkte ihn und gab ihm Mut in der Öffentlichkeit aufzutreten. Aber als die Täuschung aufflog, hatte die graue Alltagswirklichkeit den Schuster Wilhelm Voigt wieder eingeholt.
Wenn wir uns Kolosser 3,12-17 anschauen (siehe Titelseite), so werden wir aufgefordert, uns nicht für eine gewisse Zeit zu kostümieren, uns Kleidung anziehen, die nur zeitlich unser Lebensgefühl verändern kann. Er möchte, dass wir neue Kleidung anziehen sollen, keine Kostümierung für eine gewisse Zeit, kein Gewand, das unser Lebensgefühl nur temporär verändern kann. Er meint nicht eine Uniform, einen Arbeitsanzug, einen Mantel, eine Robe, eine Soutane oder sonst etwas.
Paulus beschreibt sehr konkret, was ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens sein soll:
– Herzliches Erbarmen – das ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit, Distanziertheit und Kälte.
– Die Freundlichkeit – In den Sprüchen Salomos heißt es: „Gram im Herzen eines Mannes beugt ihn nieder, ein freundliches Wort macht ihn wieder froh“.
– Die Demut – sie spielt sich nicht auf, sie begehrt nicht die Ehrenplätze, sie ist nicht in sich selbst verliebt.
– Die Sanftmut – sie ist gütig und mild; sie braust nicht auf und verliert nicht die Selbstkontrolle.
– Die Geduld – „Nur Geduld“, sagen wir, wenn sich Hektik und Unruhe ausbreiten.
So sollen gerade diese Tugenden Kennzeichen und Merkmale unserer franziskanischen Berufung sein und Maßstab unseres Handelns und Wirkens, auch besonders in unseren lokalen Gemeinschaften.
Sicherlich leichter gesagt als getan! Auch für Franziskus war es ein langer und steiniger Prozess. Aber diese Tugenden können wir auf Dauer nur leben und verwirklichen, wenn wir wie Franziskus dem Aufruf des Paulus folgen: „Zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“
Die Liebe ist die Macht, die unser ganzes Leben zusammenhält. „Die Liebe ist freundlich, sie eifert nicht, sie freut sich an der Wahrheit, sie rechnet das Böse nicht zu, sie hört niemals auf“ – schreibt Paulus im 1. Korintherbrief. Die Liebe ist in unsere Welt gekommen, weil Gott seinen Sohn Jesus Christus aus Liebe zu uns in die Welt gesandt hat.
Sicherlich war es Franziskus, der nach seiner Bekehrung dies alles am radikalsten und am überzeugendsten in seinem Leben, aber auch für seine Geschwister umgesetzt hat. Franziskus erkannte, wozu Gott ihn rufen möchte. Er verspürte eine tiefe innere Freude, ja, dass ihn die Freude ganz einnahm. Solch eine tiefe, innere Freude ist ein Zeichen dafür, dass ein Mensch auf dem Weg geht, den Christus einem zugedacht hat. Und nachdem er die Botschaft Christi durch die Auslegung eines Priesters erkannt hatte, verwirklichte er es sofort in seinem Leben – er legte alles ab, was er hatte, auch das Eremitengewand, das er bisher trug und kleidete sich in ein Gewand in Tau-Form.
An jeder wichtigen Station oder Entwicklungsphase seines Lebens hatte Franziskus sein inneres Empfinden durch die äußere Kleidung ausgedrückt – früher durch die reichen Kleider als Sohn eines Kaufmanns; in Rom tauschte er sein Gewand mit dem eines Bettlers, beim Bruch mit seinem Vater legte er schließlich all seine Kleider ihm zu Füßen.
“Herr, nicht nur das Geld, das ich von seiner Habe besitze, will ich ihm frohen Herzens zurückgeben, sondern auch die Kleider.” Vor den Augen des Bischofs, des Vaters und der Umstehenden trat er nackt heraus und sagte: “Hört alle und versteht. Bis jetzt habe ich Pietro Bernardone meinen Vater genannt; aber, weil ich mir vorgenommen habe, Gott zu dienen, gebe ich jenem das Geld zurück, um dessentwillen er in Unruhe war, und alle Kleider, die ich von seiner Habe besessen habe. Von nun an will ich sagen: Vater unser, der du bist im Himmel, nicht mehr Vater Bernardone.” (3 Gef 19f). Franz und auch sicherlich Klara führten ein Leben in Armut, die nun nicht mehr den Gegensatz zum Reichtum bildete, sondern eine Armut, die ganz auf Jesus Christus ausgerichtet war.
Das Niederlegen seiner Kleider zu Füßen seines Vaters 1206 auf einem öffentlichen Platz in Assisi, war für Franziskus die logische Konsequenz seiner inneren Haltung. Franz entschied sich radikal und ganz für die Haltung Christi. Nur unter diesem Blickpunkt können wir ihn und seine Lebensweise verstehen. Er wollte Christus nachfolgen, nahm ihn zum Vorbild, in äußerst einfacher Weise, buchstäblich bis ins Detail. Das macht ihn einerseits so sympathisch, andererseits aber auch etwas weltfremd. Den konsequenten Verzicht auf alles hat Franziskus vor Augen gehabt, als er nach einem Weg für sein persönliches Leben suchte und seinem Vater alles zurückgab, auch die Kleider; nichts mehr wollte er für sich behalten. Christus kam als Mensch in die Welt und lebte wie ein Mensch. Er wurde nicht in einem Palast geboren, sondern im Stall, in Armut.
Die Menschen, und zwar alle Menschen, sind für Christus gleich wichtig. So muss Franz konsequenterweise alle Menschen als Schwestern und Brüder ansehen, nicht nur die reichen Mitbürger seiner Oberschicht. Er traf die Wahl der totalen Armut, um auch dem ärmsten Menschen noch in die Augen schauen zu können, der genauso ein von Gott geliebtes Kind ist wie er selber. Diese Gleichheit aller Menschen lässt ihn auch Räuber und Diebe als Brüder ansehen, genauso wie den Bischof und den Papst.
Wir müssen uns den Himmel nicht mit Leitern, Verdiensten, Punkten und guter Führung erarbeiten. Unsere Energie können wir dafür einsetzen, unser Leben mit der Kraft von oben zu gestalten. Dafür hat Gott uns neu mit den Kleidern Jesu eingekleidet. Unser Problem ist nur, dass wir die neuen Kleider zwar entgegengenommen, aber die alten nicht ausgezogen haben. Wir leben weiter von den eigenen Kraftreserven, versuchen, die verschlissenen alten Kleider immer wieder zu flicken, doch sie werden niemals so wie die Kleider, die Jesus uns geschenkt hat.
Und Christus, der das neue Kleid sein will, das wir nun tragen, überstrahlt alle Unterschiedlichkeit. Der Glaube an Christus ist wie eine Robe, die wir tragen und die die Unterschiede und Trennungen aufhebt.
So sollten unsere Gemeinschaften daran zu erkennen sein, dass sie niemanden ausschließen, auch nicht die Kleingläubigen und die Zweifler, die auch Jesus nicht ausgeschlossen hat. Zudem werden wir aufgerufen, die Unterschiede nicht einfach bestehen zu lassen – so wie, wenn wir zwar gleiche Roben anhätten, aber die Unterschiede sich in den Schuhen zeigen würden. Wir leben als Gemeinschaften, um Brücken zu bauen, für Verständigung zu sorgen und Ausgleich zu schaffen.
Wie können wir das leben? Durch Wahrnehmen und aufeinander Achten, durch Zuhören und gemeinsames Fragen nach Gottes Willen, durch gemeinsames Gebet und einen gemeinsamen Auftrag, bei dem wir merken, wie angewiesen wir aufeinander sind.
Vielleicht wird Jesus uns am Ende der Zeiten gar nicht fragen, in welcher Rekordzeit und mit welchem Erfolg wir unsere Lebensaufgaben bewältigt haben, sondern wen wir ermutigt haben, den Weg mit Jesus mitzugehen.
Was für Franziskus damals wegweisend war, sollte für uns auch heute gelten: „Was einzig noch zählt, ist Christus, der in allem lebt und der alles wirkt.“
Joachim Kracht
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